Eine Arbeit in zwei Teilen: Installation und Performance
Im Rahmen der Benefiz-Ausstellung between lines. – an der insgesamt 12 Künstler*innen mit ihren Arbeiten vertreten waren – wurde das Werk Der Wille zum Tanz dargeboten. Es handelt sich dabei um eine zweiteilige Arbeit, die einerseits als Installation innerhalb der Ausstellung und andererseits als Performance im öffentlichen Raum zu sehen war.
Als Bindeglied der unterschiedlichen künstlerischen Positionen dienten die Stories, welche André van Hope auf seiner Schreibmaschine in einem Zeitraum von über zwei Jahren gesammelt hatte. Diese veranlassten die Künster*innen zu eigenständigen Arbeiten, die als Auseinandersetzung mit einem oder mehreren eigens ausgewählten Texten zu verstehen sind.
Teil 1: Die Installation
Mithilfe eines Overheadprojektors werden zwei Texte im Ausstellungsraum projiziert: Auf der linken Seite befindet sich die originalgetreue Wiedergabe einer der Stories und auf der rechten Seite ein philosophisches Essay, welches sich im Diskurs mit dem erwähnten literarischen Werk befindet.
„Leere Hallen, ein alter Mann auf dem Eis.
Sein Outfit sah aus, als hätte er den gelb-
schwarzen, enganliegenden Trainingsanzug,
dessen Farben sicher einmal kräftig und
hell geleuchtet hatten, seit einigen Jahren
nicht mehr erneuert. Die Farben verblasst
und längst nicht mehr modern. Er selbst war
faltig und grau, hatte staubiges Haar und
man wusste, er war gemeinsam mit seinem An-
zug gealtert. So stand er also, mit Schlitt-
schuhen auf dem Eis und drehte seine ewigen
Pirouetten. Das konnte er schließlich noch
immer gut, auch wenn man merkte, dass seine
gloreichen Tage vorüber waren. Und trotzdem
fand man ihn hier. Tag ein, Tag aus. Und
früher, da waren die Leute tatsächlich sei-
netwegen hergekommen, früher, da konnte er
sich der Begeisterung und dem Beifall der
Zuschauer sicher sein. Doch heute – da war
er allein. Die Reihen unbesetzt, das Licht
gedimmt, aber er hörte nicht auf. Hörte
nicht auf, sich fortwährend im Kreise zu
drehen. Und warum das alles?
Nicht weil es ihm noch immer solch große
Freude bereitet hätte. Nein.
Sondern nur, weil er einfach nicht anders
kann…
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Der Wille zum Tanz
Bezugnehmend auf die ausgewählte Story des Eiskunstläufers, setzt sich das vorliegende Essay, als eigenständiges Werk innerhalb der Ausstellung, mit dem dort dargebotenen Menschenbild auseinander. In Anlehnung an die Philosophie Sartres, Nietzsches, Camus´ und Heideggers, werden eigene Gedanken zum Thema Freiheit und Wille formuliert.
Die letzten fünf Sätze der Story, die den Eiskunstläufer als freudlosen Tänzer ohne Entscheidungs- und Handlungsfreiheit charakterisieren, veranlassen zur folgenden Frage:
Nicht anders können oder nicht anders wollen?
Evident
ist zunächst das Können der Person. Der Tänzer kann auf dem Eis stehen und er kann immer noch tanzen. Was jedoch hält ihn davon ab, dieses zu unterlassen? Weshalb sollte er nicht auch anders
können?
Mit einer solchen Aussage zur Handlungskraft des Tänzers, legt ihn der Autor als determiniert fest. Gleichzeitig fehlt jeglicher Hinweis auf eine außenstehende Quelle, die Zwang auf den Tänzer ausübt. Der Tänzer muss folglich selbst die Quelle der Determination sein, indem er seine Möglichkeiten verneint und sich von vornherein auf sein Handeln festlegt. Ein Bild der Unmündigkeit zeichnet sich ab; das Individuum handelt einer Maschine gleich, die, aufgrund ihres Mechanismus, notwendigerweise dazu bestimmt ist diese und nicht jene Handlung auszuführen.
Wird jedoch davon ausgegangen, dass das hier beschriebene Individuum die Möglichkeit hat sich dem Eiskunstlaufen zu widmen, so muss auch davon ausgegangen werden, dass dieses Individuum jederzeit über die Unterlassung dieser Möglichkeit verfügt, sonst wäre diese überhaupt keine Möglichkeit. Die Freiheit zeigt sich also darin, dass es nichts gibt, was das Individuum bestimmt diese oder jene Handlung auszuführen. Jeder Einzelne trägt somit die volle Verantwortung über seine Entscheidungen und die daraus resultierenden Handlungen.
An
dieser Stelle treffen existenzialistisches und nihilistisches Gedankengut aufeinander: Das Individuum, welches sich, um sein Handeln zu rechtfertigen, auf keine außenstehende Quelle berufen kann,
steht im Angesicht des Absurden, welches ihm sein Dasein offenbart. Das Leben bietet sich als sinnentleert dar, während der Mensch die beständige Bestrebung verspürt einen Sinn ausfindig machen
zu wollen.
Der Wille wiederum, welcher als Daseinsprinzip verstanden werden kann, ist Dasjenige aufgrund dessen der Mensch, trotz der Sinnlosigkeit des Lebens, zur Entfaltung und Selbstbestimmung hinstrebt. Doch der Wille, den Emotionen gleich, bricht über das Individuum herein. Das was es will kann das Individuum nicht bestimmen, lediglich erfahren.
Worin besteht nun die Freiheit, wenn der Wille offenkundig nicht gewollt werden kann?
Auch wenn das Individuum nicht bestimmen kann, was es will oder fühlt, so kann es sich dennoch in Beziehung zu diesen Beiden setzen. Wille und Emotionen sind nicht nur zu ihm gehörig; vielmehr sind sie das Sein des Individuums. Der Körper, welcher die erste Prämisse des Daseins darstellt, ist – insofern belebt – von Bewusstsein, Emotionen und Wille durchdrungen.
Obwohl über den Willen und die Emotionen nicht bestimmt werden kann, ist es dennoch möglich über den Rahmen in welchem diese ausgelebt werden zu bestimmen. So bleibt die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit stets beim Individuum. Es gibt keine höhere Instanz, an die es seine Verantwortung abgeben kann.
In letzter Konsequenz: Wessen Wille hin zum Tanz strebt, weil sein Dasein darin seine Entfaltung und Selbstbestimmung findet, der soll tanzen. Wer jedoch eine andere Bestrebung hat, kann dies unterlassen.
Teil 2: Die Performance
Die Performance beginnt ohne eine konkrete Vorgabe an einem spontan ausgewählten Ort im öffentlichen Raum. Im Vordergrund steht dabei die Bewegung, doch in welcher Form diese ihren Ausdruck findet ist ebenfalls nicht festgelegt. So entstehen an zwei Tagen verschiedene Performances, die den Willen der Performancekünstlerin als Ausgangspunkt haben:
Am ersten Tag der Performance liegt der Fokus stark auf die Interaktion mit der Umgebung. Zwischen Anpassung und Widerstand wird ein nonverbaler Dialog mit der Architektur des Kasseler Hauptbahnhofs gesucht.
Am zweiten Tag verlagert sich der Fokus auf den eigenen Rhythmus, der sich in langsamen, fließenden Bewegungen manifestiert. So verschmilzt der eigene, gleichmäßige Rhythmus mit dem gleichmäßigen Rauschen der Stadtgeräusche.
Fotografie: Alice Hagenbruch und Marlon Middeke